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Vereint

Die Kommunen im Ried pflegen acht Städtepartnerschaften in Europa. Sie erzählen Geschichten von Freundschaften über Grenzen hinweg. In einem Fall ging es wieder auseinander.

Wer sich persönlich kennt und gemeinsam gefeiert hat, wird später nicht mehr an Grenzen aufeinander schießen. Das ist der Grundgedanke, mit dem wenige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten Städtepartnerschaften begründet wurden. Acht Verschwisterungen gingen Ried-Kommunen ein – je dreimal mit französischen und italienischen Gegenparts, je einmal mit welchen aus Polen und Litauen. Wie steht es heute in Zeiten eines auseinander driftenden Europas darum?

Die ältesten Partnerschaften sind die mit französischen Kommunen aus den siebziger Jahren. „Die wurden damals von einer Stelle in der Europäischen Union gefördert“, sagt der Biebesheimer Kulturamtsleiter Anton Schmidt. Dazu wurden passende Vorschläge gemacht. So kam Biebesheim als erste Ried-Kommune im Juli 1971 mit Romilly-sur-Andelle in der Normandie zusammen. Der Legende nach habe sich der französische Bürgermeister René Fleuriel zuvor inkognito am Rhein umgeschaut, bevor er das O.k. gab. Es folgten intensive Jahrzehnte, in denen viele Freundschaften geschlossen wurden, mit Jugendbegegnungen, Sprachkursen, einem Staffellauf und Fahrradtouren. Noch heute erzähle eine Kollegin aus dem Rathaus begeistert vom Malwettbewerb in den siebziger Jahren, bei dem sie eine Fahrt nach Romilly gewann.

„Heute ist alles viel globaler geworden. Wir haben ein ganz anderes Europa“, betont Schmidt. Mit einer Fahrt nach Frankreich könne man niemand mehr locken, wenn man für das gleiche Geld nach Timbuktu fliegen könne. Gab es früher zweimal jährlich Besuche mit Ausflügen für 150 Teilnehmer, sind die Gruppen mittlerweile auf 50 Teilnehmer einmal jährlich geschrumpft. Die von Krieg und Nachkriegszeit geprägten Gastgeber seien mittlerweile betagt. Von den Folgegenerationen komme nicht mehr so viel.

Ähnliches berichtet Hans-Josef Becker, Vorsitzender des Vereins Städtepartnerschaften in Gernsheim. Seit 1976 pflegt die Schöfferstadt eine Partnerschaft mit Bar-sur-Aube in der Region Champagne-Ardenne. Vorausgegangen waren Schüleraustausche des Gymnasiums mit einem Lycée in Bar-sur-Aube. Doch mittlerweile sinke in Frankreich das Interesse an Deutsch als Fremdsprache, sagt Becker. Während die Basketballer noch sehr aktiv seien, seien andere Kontakte eingeschlafen. Zudem leide das Jumelage-Komitee in Bar-sur-Aube unter Geldknappheit. Doch noch immer gibt es die Radtouren zum Fischerfest. Seit drei Jahren besuchten französische Kommunalpolitiker die Straßenfastnacht.

Gelungen scheint der Generationswechsel dagegen in der 1979 geschlossenen Partnerschaft von Riedstadt mit Brienne-le-Château, wie Patrick Fiederer berichtet. Riedstadt feiert am Europawahl-Wochenende, 24. bis 26. Mai, dreifaches Verschwisterungsjubiläum. Die älteste Jumelage mit Brienne sei von Blutspendern gegründet worden. „Das DRK hat versucht, den europäischen Gedanken zu leben“, so Fiederer. Heute gebe es viele Freundschaften außerhalb der offiziellen Partnerschaft. Und mittlerweile engagierten sich viele Vierzigjährige. „Wir stellen fest, dass das Band zwischen Deutschland und Frankreich weiterhin vorhanden ist“, betont Fiederer.

Unterschiedlich verliefen die Partnerschaften mit italienischen Städten. Francesco Tagliente ist Mitgründer der 1986 geschlossenen Verschwisterung Biebesheims mit Palo del Colle in Apulien. Die ersten Gastarbeiter aus Palo lebten seit 1959 in Biebesheim. Tagliente kam 1963. „Ich bin im Zug 18 geworden, zwischen Mannheim und Biebesheim“, erinnert er sich. Pfarrer Don Giuseppe di Mauro aus Palo wollte 1984 sehen, wie seine Landsleute am Rhein lebten. Tagliente organisierte den Besuch als Vorsitzender der italienischen Familienvereinigung in Biebesheim, die über 80 Familien aus Apulien vertrat. Anfangs nahmen Deutsche wie Italiener 22-stündige Busfahrten für den Besuch in Kauf.
In Stockstadt erinnert dagegen nur der Parco Villa Lagarina an die 1990 geschlossene Partnerschaft mit der Gemeinde bei Trient. „Das ist irgendwann kaputt gegangen“, bedauert Bürgermeister Thomas Raschel. Nach dem Wechsel zu einem sozialistischen Bürgermeister in Villa Lagarina habe dieser „alles gecancelt“. Zwar habe er einen netten schriftlichen Austausch mit der jetzigen Bürgermeisterin, aber es fehle die Initiative von italienischer Seite.

Als „zartes Pflänzchen“ beschreibt auch Patrick Fiederer die seit 1994 bestehende Freundschaft Riedstadts mit Sortino auf Sizilien. Vor allem die Entfernung sei ein Problem. Trotzdem gebe es regelmäßige Fahrten und viele Freundschaften.

Echte Pionierarbeit wurde 1994 im litauischen Tauragé geleistet. Erst 1990 hatte Litauen sich zum souveränen Staat erklärt. Der Riedstädter Bürgermeister Andreas Hoffmann habe eine Partnerschaft mit einer Stadt im früheren Ostblock gewollt, erinnert sich Klaus Minter, Vorsitzender der Freunde von Tauragé. Der aus Tauragé stammende Arzt Dr. Leonas Gudelis vom Philippshospital brachte seine Heimatstadt ins Spiel. „Das war Neuland für alle und unheimlich progressiv“, betont Minter. Beim ersten Besuch 1993 sei klar geworden, wie groß die Probleme dort waren. „Die hatten nichts“, beschreibt Molter den Eindruck vom Krankenhaus. Im gleichen Jahr gründeten sich die „Freunde von Tauragé“, um die Verwaltung zu entlasten. Bis zu seinem Tod 2012 führte diese Kurt Ernst, ehemaliger kaufmännischer Direktor des Philippshospitals.

Völkerverständigung und humanitäre Hilfen nennt Minter als zentrale Säulen der Arbeit. Besonders in der Anfangszeit packten die Mitglieder bei Hilfstransporten an. Landwirt Klaus Molter habe litauische Praktikanten nach Wolfskehlen geholt, ihnen Düngepläne, Maschineneinsatz und Finanzplanung vermittelt. „Früher sind Delegationen in Partnerstädte gefahren, heute besuchen sich Freunde“, betont Minter.

Vergleichsweise jung ist die 2011 geschlossene Freundschaft Gernsheims mit dem polnischen Swiecie (Schwetz). Auch sie geht auf den Schüleraustausch des Gymnasiums zurück, wie Hans-Josef Becker erläutert. Der Verein Städtepartnerschaften organisiert jährlich im Wechsel Fahrten nach Frankreich und Polen mit bis zu 40 Teilnehmern. Im Juni geht es wieder nach Polen.

Diese neue Partnerschaft hat übrigens damals in Gernsheim Impulse gegeben, auch die Zusammenarbeit mit Bar-sur-Aube wieder zu beleben. Und auch Jubiläen können Ansporn sein: Zum Fest in Riedstadt kommen auch 17 Besucher aus Sortino, wie Patrick Fiederer weiß.

(c) Groß-Gerauer Echo, Marion Menrath

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